Rezension „Im Auge der Leere“ (Stefan Cernohuby | Melanie Vogltanz)
»Du wolltest bloß überleben«, widersprach Muharib leise. »Du bist kein Monster. Das ist … menschlich.«
»Das ist ein und dasselbe.«
In ferner Zukunft hat sich die Menschheit über die Galaxis ausgebreitet und Kontakt zu unzähligen Spezies geknüpft. Verschiedene Allianzen, aber auch Welten und Reiche, die für sich bleiben wollen, bestimmen den Kosmos. Ein Machtblock der Menschen ist Oculus, dessen Vorsitzender Auelianus den Verbund zu Beginn über eine beunruhigende Entwicklung informiert: Das Volk der Technokraten hat ein eigenwilliges Glaubenscredo, nachdem die Errungenschaften alle drei Generationen auf Null zurückgesetzt werden. Dieses Mal jedoch scheinen sie ihr Credo nicht auf sich beschränken zu wollen. Da eine militärische Offensive die Sache beschleunigen würde, erwirkt Auelianus Sondervollmachten, sich mit einer Infiltrierungsaktion persönlich der Sache anzunehmen. Er stellt ein Sonderkommando zusammen und nutzt den Fluchtversuch des Vinsha Void, der als einer der gefährlichsten Verbrecher der bekannten Galaxis gilt, um ihn in sein Team zu integrieren. Wie sich im Verlauf der Handlung offenbart, verfolgt Auelianus jedoch andere Ziele, als er offiziell verlauten lässt …
»Im Auge der Leere« ist ein interessanter Genrehybrid. Mit der Ausgangssituation und der Befreiungsaktion von Void wird zunächst der Eindruck einer Military SF erweckt, die jedoch in eine »Heist«-Geschichte übergeht: Eine Truppe Personen, die zur Erreichung ihrer Ziele nicht nur jenseits des Legalen agiert, sondern nicht unbedingt eine gute Sache im Sinn haben. Auelianus ist als skrupelloser, auf seinen Vorteil bedachter »Boss« etwas stereotyp gezeichnet, wenngleich es zum Schluss eine überraschende Enthüllung über ihn gibt. Zwei Teammitglieder – Diplomat Jake Roberts und Scharfschützin Snyaper – sind stimmig, aber eher funktional charakterisiert. Ein besonderes Plus ist hingegen die Zeichnung der Hauptfiguren Void (Rrak) und Muharib (Tarek).
Void gehört dem Volk der Vinsha an und ist ein Formwandler. Viele Gefühle oder soziale Gepflogenheiten der Menschen sind ihm unverständlich. Er ist hingegen ein guter Beobachter und lernt schnell. Darüber hinaus agiert Void überaus logisch und ist in der Lage, sehr schnell alle möglichen Optionen einer Situation abzuwägen – eine Fähigkeit, die das Team aus manch brenzliger Situation befreit. Als Formwandler nimmt er zumeist die Gestalt männlicher Menschen an, fühlt sich jedoch keinem menschlichen Geschlecht zugehörig. Über die Vinsha und Voids Vergangenheit erfährt man bis zum Schluss (und auch dann) recht wenig. Da Void durch seine Gefangenschaft und den Einsatz im Team lange Zeit in menschlicher Form weilte, wird er zunehmend »menschlicher« – eine weitere Eigenart seiner Spezies.
Muharib ist neben Void derjenige, der zuletzt in die Spezialeinheit von Auelianus aufgenommen wurde. Er ist im Team der Mann fürs Grobe: Ein Bindeglied zwischen der schwießwütigen Scharfschützin Snayper und dem taktischen Kopf Jake Roberts. In gut platzierten Rückblicken wird seine Hintergrundgeschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines Niemands, der als moderner Gladiator sein Dasein fristete und seinen Geliebten Aadil – seinen einzigen Lichtblick auf ein besseres Leben – durch einen Vorwand ziehen ließ, um ihn zu schützen.
Die Geschichte von Muharib ist auch der Punkt, an dem der Roman die anfänglich eingeschlagenen Pfade der Military SF / Space Opera und der Fortführung als Heist-Geschichte ein Stück weit verlassen, um ein ansprechendes Charakterdrama einzuweben.
Es ist etwas schade, dass sich Cernohuby und Vogltanz mit ihrem Universum eine gewaltige und detaillierte Bühne aufgebaut haben, aber sie größtenteils im Dunkeln lassen. Gerade das Volk der Technokraten hätte eine genauere Betrachtung verdient, anstatt auf einen MacGuffin reduziert zu werden. Der Roman konzentriert sich stattdessen auf die Mischung aus actionreicher Handlung und Charaktermomenten und ist somit Unterhaltung im besten Sinne. Das Duo hat den Spannungsbogen im Griff und vermeidet durch geschickt platzierte Rückblenden Längen und Eintönigkeit. Die verwendete Sprache ist abwechslungsreich gehalten und bisweilen mit derben Humor versetzt: »Aelianus tat, was immer der Boss tat, wenn Menschen schlafen würden. Vermutlich steckte er sich ein Ladekabel in den Arsch und lud seine Batterien auf. Und Void und Muharib … Was die beiden taten, war vermutlich ähnlich.«
Fazit: Tiefe oder Komplexität wird nicht geboten, doch als fantasievoll gestalteter, eloquent geschriebener und rasant erzählter Heist-Actioner weiß »Im Auge der Leere« zu überzeugen. Mit zwei gut gezeichneten Hauptcharakteren, einem vielfältigen Ensemble, schönen Details und raffinierten Wendungen wird sich wohltuend von der Space-Opera-Masse abgehoben. Lesenswert.