Rezension „EXODUS 43“
Nach druckbedingter Verzögerung ist die für den Oktober 2021 angekündigte 43. Ausgabe von EXODUS im November erschienen. Elf neue Kurzgeschichten, eine mehrseitige Galerie mit den Werken von Hubert Schweizer sowie Lyrik und Grafiken zu jeder Geschichte werden geboten.
Die Highlights
Aiki Mira: „Vorsicht synthetisches Leben“ – Zu seinem 40. Geburtstag bekommt Tom von seiner Frau ein Biosenti geschenkt. – Mit dem Auftakt gibt es gleich eine der besten SF-Kurzprosa-Beiträge des Jahres. Aiki Mira zeichnet in ihrer Geschichte mit detaillierter Betrachtung ein (unangenehm) vorstellbares Bild der nahen Zukunft. Dezent wird Gesellschaftskritik eingewoben, ohne die Geschichte zu dominieren. Der Fokus liegt auf Beziehung: Die von Tom zu seiner Frau, die von Tom zu seinem Biosenti Alfie, die in der Gesellschaft allgemein. Die Wendung und der Ausgang der Geschichte, insbesondere in Bezug auf das Ehepaar, hat mich überrascht.
Norbert Stöbe: „Das Ding“ – Karlo erhält eines Tages ein seltsames (bio?)technisches Gebilde, ein Ding, zugeschickt, dass er nicht bestellt hat. Zunächst kann er wenig damit anfangen und ignoriert es, bevor sich sachte eine freundschaftliche, inspirierende Beziehung entwickelt. – Auch die Geschichte von Norbert Stöbe ist in näherer, vorstellbarer Zukunft angesiedelt und extrapoliert mit dem Mikrokosmos von Karlo treffend eine sich immer mehr isolierende, sozial vereinsamende und träge werdende Gesellschaft. Die wachsende Beziehung von Karlo zu dem Ding sowie die Auflösung dieser nicht zufällig entstandenen Begegnung sind eindringlich erzählt. Der Schluss selbst hat eine schöne, hoffnungsvolle Note, während das Gelesene im Gesamten nachdenklich stimmt.
Elena L. Knödler: „Der lange Weg zur Schöpfung“ – Auf einer langen Reise durchs All kommen sich Sirius und Fornax näher – Die Geschichte ist rein von ihrem Plot etwas unspektakulär, besticht jedoch durch leise Töne. Ein sprachlich sehr schönes, gefühlvolles „Kammerspiel“, welche gelungen die sich entwickelnde Beziehung der Protagonisten Sirius und Fornax erzählt.
Thomas Grüter: „Meine künstlichen Kinder“ – K.I.nder – Auf die Idee, dass Künstliche Intelligenzen einer Erziehung bedürfen, muss man erstmal kommen. Thomas Grüters Geschichte fasziniert durch ihre Idee, einen strukturell und sprachlich ausgereiften Stil sowie einer Pointe, die einen kalt erwischt und nachhallt.
Weitere Geschichten
„Ganz am Rande“ (Rolf Krohn) behandelt mit einer Person in zeitlicher Verschiebung nichts Neues, hat jedoch mit dem Zeitecho einen charmanten Einfall gehabt. Sprachlich sehr angenehm und ein gut pointierter Schluss. Im besseren Sinne Durchschnitt. Das abschließende „Copycabana“ von Andreas Debray gelingt auf knackigen vier Seiten der Wechsel von bissiger Near-Future-Satire zur schonungslosen Dystopie.
In dieser Ausgabe gab es leider ein paar Geschichten, die mich nicht abholen oder zur Gänze überzeugen konnten. Roman Schleifers „IQ 187“ ist ein sprachlich gelungener, strukturell toll aufgebauter Near-Future-Krimi, dessen Pointe allerdings enttäuscht. Ähnlich wie Agatha Christies berühmter Roman „Alibi“ wird den Lesern durch die erzählerische Nähe zur Hauptfigur eine wichtige Information vorenthalten. Das sorgt dafür, dass man sich nicht gelungen an der Nase herumgeführt, sondern betrogen fühlt. Christian Endres‘ Lovecraft-Hommage „Cthulu Lucha Libre“ bleibt für den Autor untypisch farblos. „Deparment for Special Purposes“ von Moni Schubert ist schön geschrieben, besteht mit dem Einfluss der Roswell-Aliens und der Pointe allerdings gänzlich aus zu oft gelesenen und gesehenen Ideen. Über den Beitrag von Emil Kaschka („Das Labyrinth“) und Willem Kucharziks Jules-Verne-Pastiche („Das verlorene Kapitel – Aus dem Tagebuch des Schiffsjungen“) möchte ich lieber schweigen, denn beide Geschichten haben ihre Qualitäten, sind allerdings nicht mein Fall.
Das Magazin
EXODUS ist mehr als eine Geschichtensammlung, denn die grafische Seite ist mehr als nur Beiwerk. Zu jeder Geschichte gibt es gelungene größere und kleinere Illustrationen in den unterschiedlichsten Stilen. Das Highlight einer jeden Ausgabe – die mehrseitige Galerie – gefällt mir dieses Mal besonders gut. In Hubert Schweizers Gemälden verliert man sich gerne für eine Weile und kann den überschwänglichen Worten im Begleitartikel nur beipflichten.
Fazit
Diese Ausgabe hat mich etwas weniger begeistert als sonst, wobei dies in den meisten Fällen meinem persönlichen Geschmack geschuldet ist. Das Herausgeber-Trio Moreau, Kugler und Wipperfürth hat es erneut geschafft, eine abwechslungsreiche und grafisch sehr beeindruckende Ausgabe zu schaffen, die ich allen Liebhabern von SF-Kurzprosa nur empfehlen kann. Alleine die Beiträge von Aiki Mira, Norbert Stöbe und die Hubert Schweizer gewidmete Galerie sind genug Gründe, sich die Ausgabe nicht entgehen zu lassen.