Rezension „EXODUS 42“

Rezension „EXODUS 42“

Alle (halbe/dreiviertel) Jahre wieder … erscheint eine neue Ausgabe von EXODUS, dem langjährigen Magazin für Science-Fiction-Stories und phantastische Grafik. Die aktuelle Nummer 42 bietet das, was man als Stammleser erwartet – und daher Liebhabern hochwertiger Science-Fiction empfohlen werden kann: Ein Dutzend abwechslungsreicher und gelungener Kurzgeschichten, die ebenso abwechslungsreich und gelungen grafisch begleitet werden. Zwischen den Geschichten gibt es Kurzcomics und Lyrikbeiträge; die mehrseitige Galerie präsentiert eine Werkschau von Simon Lejeune, der auch das grandiose Titelbild beisteuerte.

Story für Story

„Nachtschicht“ (Thomas Kolbe) – Geschildert wird die „typische“ Nachtschicht eines menschlichen Arztes, der einige Jahre, nachdem die Menschheit erstmaligen Kontakt mit Außerirdischen hatte, auf einer Raumstation seinen Dienst ableistet. – Der Einstieg in diese Ausgabe war leider nicht meins. Auch nach zweimaligem Lesen bleibt für mich von der Geschichte nicht mehr hängen, als eine humor- und fantasievoll geschriebene Setting-Beschreibung, die mit einem mauen Schluss-Gag endet. Fair dazugesagt: Kolbes Geschichten sind generell nicht meins.

„Am Ende – Eden“ (Maria Orlovskaya) – In nicht näher definierten Zukunft in der Stadt Eden, wird ein Tag im Leben der Zofe Aysa und ihrem zugewiesenen Mädchen Nastea geschildert – Wenn es mit dem „Exodus“ dieses Mal bei mir länger dauert, als sonst, dann liegt es an mehrmaligem Lesen. Auch dieser Geschichte gönnte ich eine zweite Runde. Maria Orlovskaya zeichnet ein dichtes, dystopisches Setting, gewährt hingegen nur vage, was es mit ihrer Welt außerhalb Edens, indem sich ihre Protagonistinnen befinden, auf sich hat. Die mehrfache Referenz an den mythologischen Fluss Styx (Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades) beschreibt den goldenen Käfig für Aysa und Nastea hingegen gut, wobei am Ende der Hinweis gegeben wird, wer ihn überqueren wird. Insgesamt vermittelt mir die Geschichte allerdings das Gefühl, zu nah an einem Gemälde zu stehen, um das gesamte Bild fassen zu können.

„Schwarmverhalten“ (Olaf Lahayne) – In einer Sportsbar in nicht näher definierter Zukunft belästigt eine Schar fehlgeleiteter Mecha-Bees – Die Geschichte mutet in ihrem Aufbau ein wenig wie Hitchcocks „Die Vögel“ an. Die Idee mit den Mecha-Bees ist toll. Sprachlich sehr gefällig, starke Botschaft. Die Wendung ist gut gelungen. Top.

„Notizen zur Beobachtung von Schildkröten nach einer Bruchlandung“ (Lisa Jenny Krieg) – Nach einem Raumgleiter-Absturz kämpft eine namenlose Protagonistin um ihr Überleben. Seltsame, schildkröten-ähnliche Wesen beobachten und helfen (?) ihr. – Den Titel finde ich ein wenig umständlich, aber inhaltlich ganz großes Kino. Gehalten in Tagebuch-Form zeichnet die Autorin auf wenigen Seiten Spannung und eine dichte Atmosphäre. Die Wendung, gut vorbereitet, verfehlt ihre Wirkung nicht. Interessanter Zusatz: Kaum ein männlicher Schreiber würde sich wohl Gedanken um Menstruation nach einer Bruchlandung machen. Die Autorin hat diesen biologischen Umstand nicht nur thematisiert, sondern gelungen mit ihrer Geschichte verknüpft. Alle Achtung. 

„Die Numerophilen“ (Hans Jürgen Kugler)
Ein außerirdischer Bericht über einen Planeten, deren Bewohner die skurrile Besessenheit haben, allen Wert in Zahlen vorzunehmen. – Kugler liefert unter Nutzung einer Alien Perspektive spitze Bemerkungen, schön geschrieben und mit eineinhalb Seiten knackig gehalten. Allerdings ist das Ganze, inkl. Schlussgag, auch ohne Überraschung.

„Ewige Seeanemonen“ (Maike Braun)
Amphibische Besucher finden bei ihrer Jagd heraus, dass scheinbar nicht alle Landlebensformen an einem Virus zugrunde gingen. – Schöne Geschichte, die langsam Spannung aufbaut und sie bis zum Schluss hält. Eher eine Erzählung als die typische Pointen-KG. Als solche ausgesprochen lesenswert.

„Alte Schule“ (Christian Endres)
Martins Spaziergang. – Die Geschichte eines alten Mannes, der scheinbar den Anschluss an die moderne Welt verloren hat, ist Endres-typisch gut geschrieben und weiß durch eine gute Wendung zu überraschen.

„Tajanas Entscheidung“ (Nicole Rensmann) – Die VR-Programmiererin Tajana findet sich, ebenso wie vermutlich mehrere Millionen User, gefangen in ihrer eigenen Kreation. – Tür 1, 2 oder 3? Ich liebe Adventure-Stories. Keine neue Idee, aber gefällig geschrieben und gut verzahnt. Eine lustige Tür 1, eine schräge Tür 2 und eine heftige Tür 3 sorgen für dreifaches Lesevergnügen.

„Alles eine Frage der Einstellung“ (Gabriele Behrend) – Während die menschlichen Bewohner auf Reisen sind, bricht das Androiden-Personal aus seinen Routinen aus – Eine rundum gelungene Geschichte, die mit einem schwungvollen Einstieg prickelnd startet und im weiteren Verlauf spielend den Wechsel von anfänglich leichter zur philosophisch anmutenden Geschichte meistert. Wie fein dieser Wechsel verläuft, manifestiert sich bereits im doppeldeutigen Titel. Auch der Abschluss sitzt. Gibt nichts zu meckern. Top. 

Blinde Könige“ (Moritz Greenman) – William Gomes findet sich im geistigen Verhör mit einer KI – Durch die erzählerische Reduktion auf Dialoge stilistisch interessant. Rein sprachlich absolut gelungen, v. a. die verhörende KI ist gut getroffen. Nach einer interessanten ersten Hälfte wird es leider etwas generisch. Der Abschluss hält im Detail eine Überraschung bereit, ist aber in der Gesamtheit vorhersehbar. 

„Ein perfekter Tag“ (Thomas Kolbe) – Der typische Tag in einer postappokalyptischen Welt – Die Illustration irritiert und mag nicht so ganz zur Geschichte passen. Kolbe ist in dieser Ausgabe zweimal vertreten und ich vermute, dass die entgegengesetzten Tageszeiten („Nachtschicht“-Nacht, „Ein perfekter Tag“-Tag) den Platzierungen im Magazin dieser Ausgabe eine Klammer geben sollten. Ob beide Geschichten eine ähnliche Pointe gebraucht hätten, ist allerdings fraglich.

Fazit: Wie eingangs erwähnt, bietet EXODUS erneut das, was man erwartet: Größtenteils gelungene Geschichten und fantastische Grafiken. Das Konzept, abwechslungsreiche Geschichten zu präsentieren und von den unterschiedlichsten Grafik-Künstlern begleiten zu lassen, ging erneut auf. Ausgabe 42 glänzt weniger durch Überflieger, bietet aber ein durchgängig überdurchschnittliches Niveau. 

Das Magazin erscheint unabhängig und ist ausschließlich direkt über www.exodusmagazin.de zu beziehen – einzelne Ausgaben oder Abonnement.

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