Rezension – Thron aus Sturm und Sternen: Seelendonner

Rezension – Thron aus Sturm und Sternen: Seelendonner

Die breite Leserschaft ist undankbar. Einerseits wird vielfach darüber geklagt, man bekäme auf dem High-Fantasy-Segment nur noch die Variation der Kopie serviert; andererseits werden experimentierfreudige Werke dann doch links liegen gelassen oder mit dem Stempel „Special Interest“ versehen. Eine bemerkenswerte Gratwanderung gelang Annie Waye mit ihrem Debütroman „Seelendonner“, der den Auftakt zur Dilogie „Thron aus Sturm und Sternen“ bildet. Abseits der bekannten Pfade, die Autoren mit Doppel-R-Initialen bewanderten (und die von Heerscharen Autor*innen im Anschluss ausgetreten wurden und immer noch werden), geht Annie Waye mit diesem Werk einen ganz eigenen Weg.

Die Geschichte mutet dabei grundsätzlich nach klassischer Kost an: Im vereinten Königreich Tara’Unn droht der wackelige Burgfriede zu einem Krieg auszubrechen. Abseits der beiden Großmächte von Taar und Unnen lebt der von der Welt fast vergessene Stamm der Crae, zu dem auch die Protagonistin Kauna gehört. So wie die Crae zwischen die Fronten geraten, so befindet sich auch Kauna im Zwiespalt zwischen dem Königssohn Malik, der ihr Leben rettete, und den Entscheidungen ihrer anderen Hälfte Gil …

So bekannt die Ausgangssituation und das Motiv der Heldenreise sind, so überraschend und kreativ präsentiert sich die Geschichte von der ersten Seite an. Die Welt, in die Annie Waye uns entführt, trägt zwar Züge des Osmanischen Reichs des 19. Jahrhunderts und webt bei den Crae mit ihren Seelentieren indianische Mythen ein, doch an vielen Stellen blitzen die Einzigartigkeiten einer faszinierenden Welt auf. Der Autorin gelang es zudem, ihre Geschichte so zu gestalten, dass der Leser jedes Mal, wenn er ahnt, was nun passieren wird, überrascht wird.

Auf der handwerklichen Seite gibt es keinerlei Beanstandungen. Sprachlich präsentiert sich der Roman so gefällig wie gereift und lässt zu keinem Zeitpunkt die Vermutung aufkommen, es würde sich um ein Debüt handeln. Der Spannungsbogen sitzt: „Seelendonner“ startet mit einem Knall, nimmt sich anschließend Zeit Charaktere und Setting einzuführen, konstant die Spannung zu steigern und schließt – bei einer Dilogie nicht anders zu erwarten – an einer schicksalshaften Wendung ab. Dass sich bei dieser Stelle nicht die übliche, effekthaschende Cliffhangeritis eingeschlichen hat, unterstreicht dabei noch einmal subtil, wie bemerkenswert der ganze Roman ist.

Im Sinne vorbeugenden Schubladendenkens bei jungen Autorinnen: Wer Romantasy erwartet oder vermutet, wird enttäuscht. Zwar spielen Liebe und Romantik eine Rolle in der Geschichte, aber der Roman wird nicht davon dominiert.

Fazit: Mit überschwänglichem Lob bin ich eher sparsam, doch mit ihrem Dilogie-Auftakt gelang der Autorin ein innovatives Werk, welches sich vor den Besten des Fantasy-Genres nicht zu verstecken braucht. Somit hat sich „Seelendonner“ nichts Geringeres als die Höchstwertung verdient. Es bleibt nur zu hoffen, dass der im März 2021 erscheinende zweite Teil der Dilogie dieses hohe Niveau halten kann und die Geschichte so imposant fortführt und abschließt, wie sie begann. Klare Leseempfehlung.

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