SciFi-lights 2022: Die besten deutschen Science-Fiction-Kurzgeschichten

SciFi-lights 2022: Die besten deutschen Science-Fiction-Kurzgeschichten

Mit den Nominierungen für und den Abstimmungen zum Kurd-Laßwitz-Preis haben die einheimischen SF-Schaffenden die schöne Möglichkeit, ihren Senf, pardon, ihre fachliche Meinung zum zurückliegenden SF-Publikationsjahr abzugeben. Spätestens am 23. Januar werde auch ich dem Treuhänder meine Vorschläge zzgl. Begründungen übermitteln. (Zuvor wird im Roman-Sektor noch etwas aufgeholt).

Ist es schlau, sich öffentlich zu äußern?

Die Nominierungen und die Abstimmung sind, wie es sich für eine Wahl gehört, selbstverständlich geheim. Ob man als SF-Schaffender die Ausgewählten öffentlich benennen sollte, muss jede:r mit sich selbst ausmachen. Ich habe ein wenig mit mir gerungen, aber da ich nicht nur SF-Schaffender sondern letztendlich nur ein SF-Fan bin, möchte ich die nach meiner Meinung Besten der Besten für alle interessierten Leser:innen kurz vorstellen.

Die Basis meiner Liste

Von den 429 erstmals in 2022 veröffentlichten, deutschen SF-Kurzgeschichten, die Yvonne Tunnat ausgemacht hat, habe ich 142 gelesen. Etwas mehr als 33 %. Irgendjemand wird mir die fehlenden 67 % zum Vorwurf machen – genauso wie die Tatsache, dass ich ein paar, die auf meiner Liste gelandet sind, selbst herausgegeben habe. Geschenkt. Letzteres gestatten die Statuten des Preises, und solange mir niemand das Arbeitsmaterial vollumfänglich zur Verfügung stellt und meinen hauptberuflichen Stundenlohn für eine Freistellung zur Sichtung ausgleicht – ( bei entsprechenden Angeboten denke ich darüber nach 😉 ) -, muss der Versuch, möglichst viel zu lesen, genügen.

Die Liste (alphabetisch nach Titel)

„Antworten“ (Galax Acheronian) – Der Autor vermengt gekonnt seine geerdete Grundgeschichte über den Versuch von Kontaktaufnahmen mit Außerirdischen mit einem KI- und Zeitreise-Plot, ohne die Geschichte zu überfrachten, und liefert einen Knall am Schluss. Lebendig gezeichnete Charaktere und stetig steigernde Spannung im Erzählfluss runden die Geschichte ab. Veröffentlicht: „Alien Contagium“ (Eridanus Verlag)

„Briefe an eine imaginäre Frau“ (Michael K. Iwoleit) – Die Geschichte um einen visionären Programmierer, der sich seine Chancen auf Glück und Veränderung ein ums andere Mal selbst verbaut, beeindruckt durch einen intensiv erzählten, nicht immer angenehm zu lesenden Seelen-Striptease. Gleichzeitig zeichnet der Autor detailliert eine mögliche Entwicklung virtueller, sozialer Netzwerke, ohne dabei in langweilenden Infodump zu verfallen. Veröffentlicht: „NOVA Nr. 31“ (p. machinery)

„Das unentdeckte Land“ (Maximilian R. Herzig) – Der Autor schildert einen Außerirdischen-Erstkontakt im Jahre 1821. Herzig nutzt gekonnt das Stilmittel des Briefromans und gestaltet seine Geschichte spannend, stimmig und auf hohem erzählerischem Niveau. Veröffentlicht: „Alien Contagium“ (Eridanus Verlag)

„Der Digger und der Lukudur“ (Frank Lauenroth) – Der Autor beschreibt in einer knackigen, humorvollen Geschichte einen Erstkontakt zwischen Vertretern von außerirdischen Völkern in einer Gefängniszelle. Sprachlich ausgefeilt, eine passende Pointe im letzten Satz. Veröffentlicht: „Alien Contagium“ (Eridanus Verlag)

„Die Retardierten“ (Maike Braun) – Maike Braun widmet sich in ihrer Geschichte grundlegend der Natur des Menschen und thematisiert Fragen über Freiheit und Selbstbestimmung. Sorgsame Szenenkomposition, dicht gewoben und sprachlich auf hohem Niveau. Veröffentlicht: „NOVA Nr. 31“ (p. machinery)

„Die Grenze der Welt“ (Aiki Mira) – Eine dicht erzählte, sprachlich ausgefeilte Geschichte, die Selbstisolierung, Einsamkeit und Grenzüberwindung thematisiert. Das entworfene Setting ist stimmig, der strukturelle Aufbau bis hin zur mutmaßlichen Pointe meisterhaft konstruiert. Veröffentlicht: „EXODUS Nr. 44“ (Eigenverlag)

„Die Zukunft (Aiki Mira)“ – Aiki Mira legt eine meisterlich formulierte Charakterstudie in Form eines Historienstücks vor, welches mit minimalen Steampunk-Sprenkel ein passendes, einzigartiges Setting schafft. Veröffentlicht: „Der Tod kommt auf Zahnrädern“ (Amrun Verlag)

„Digital Detox“ (Aiki Mira) – Aiki Mira nimmt sich einem Gegenwartsphänomen an, überträgt es ebenso originell wie schlüssig in die Zukunft und wartet mit einer gelungenen Pointe auf. Sprachlich selbst für Aiki Mira besonders gelungen. Veröffentlicht: „Future Fiction Magazine Nr. 2“ (Eigenverlag)

„Ein seltsamer Feierabend“ (Kai Focke) – Der Autor entwirft die dystopische Zukunft einer nie endenden Pandemie, wobei er ebenso subtil wie erschreckend schildert, wohin sich Politik bei fehlender Gewaltenteilung entwickeln kann. Veröffentlicht: „Weltenportal Nr. 4 (11/2022)“ (Eigenverlag)

„Ersatzkind“ (Jaana Redflower) – Eine gleichermaßen intensiv wie zurückhaltend verfasste Erzählung über den Umgang mit Verlust, der Extrapolierung einer möglichen Entwicklung. Die Geschichte ist sorgsam strukturiert und enthüllt in angenehmen Tempo ihre Prämisse. Veröffentlicht: „Dimension Null“ (Verlag für Moderne Phantastik)

„Fast Forward“ (C. M. Dyrnberg) – Die Geschichte wird in sorgsam konstruierten, kapitelartigen Abschnitten erzählt. C. M. Dyrnberg setzt darin die Bewältigung eines Beziehungsendes ungemein kreativ um. Die Geschichte ist sprachlich schön, strukturell ausgefeilt und arbeitet subtil auf den großen Knall am Schluss zu. Veröffentlicht: „NOVA Nr. 31“ (p. machinery)

„Hayes‘ Töchter und Söhne“ (Thorsten Küper) – In einer spannenden, mitreißend geschriebenen und handwerklich einwandfreien Abenteuer-Geschichte, thematisiert der Autor die Ausbeutung von Naturvölkern. Die Verbindung zwischen fiktiven USA des 19. Jahrhunderts (Western-Einschlag) und einem steampunkigen Deutschland (Wuppertal) ist ein besonders origineller Bonus. Veröffentlicht: „Der Tod kommt auf Zahnrädern“ (Amrun Verlag)

„Objekt Eins“ (Maximilian Wust) – In lakonischer Sprache erzählt, schildert Wust durch seinen Ich-Erzähler, wie die Menschheit reagieren würde und könnte, sollte ein fremdes Objekt unser Sonnensystem passieren. Der Autor verknüpft den realistischen Ansatz gekonnt mit einer spannenden Geschichte, die  in den letzten beiden Sätzen einen ebenso stimmigen wie überraschenden Dreh erhält. Veröffentlicht: „Alien Contagium“ (Eridanus Verlag)

„Morsche Haut“ (Yvonne Tunnat) – Ein intensiv geschriebenes Kammerspiel, welches das Cyborg-Motiv nicht nur gekonnt in das Retrofuturismus/Steampunk-Genre überträgt, sondern mit dem Einweben der menschlichen Komponente sowohl schockiert als auch eine sehr berührende Dimension hinzufügt. Veröffentlicht: „Der Tod kommt auf Zahnrädern“ (Amrun Verlag)

„Sehnsucht“ (Jol Rosenberg) Die Geschichte thematisiert das Mensch-Sein bzw. Existieren aus ganz besonderer Perspektive. Schöne Formulierungen sowie lebendig geschriebene Szenen tragen zum gelungenen Gesamtergebnis bei. Veröffentlicht: „Der Tod kommt auf Zahnrädern“ (Amrun Verlag)

Interessanter Link

Yvonne Tunnat, die vermutlich fleißigste SF-Rezensentin des Landes, hat ebenfalls ihre Top-15 veröffentlicht. Obwohl sie nach eigenen Aussagen deutlich mehr Geschichten gelesen hat, als ich – über 300! -, haben wir faszinierenderweise 6 Überschneidungen: „Digital Detox“, „Die Zukunft“, „Briefe an eine imaginäre Frau“, „Fast Forward“, „Ersatzkind“ und „Hayes‘ Töchter und Söhne“. Weitere Titel, die es in ihre Auswahl geschafft haben, haben mir ebenfalls gefallen, aber meine Top-15 knapp verfehlt, bspw. „Some Time in Mozambique“ (Leszek Stalinski), „Mechanical Circus“ (Janika Rehak) oder „Der Zustand der Welt“ (Aiki Mira zum Vierten!).

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