Feminismus

Feminismus

Der Bloggersonntag, an dessen Themen ich regelmäßig teilnehme, spielt sich vornehmlich auf Instagram ab – gleichwohl ich meine Beiträge auch auf meinem Facebook-Blog „An Afternoon in Utopia“ veröffentliche. Die Limitation der erlaubten Posting-Textlänge dieser Plattform ist bisweilen ein gutes Training, um „auf den Punkt zu kommen“. Sie gestattet andererseits kaum, ein Thema ausführlich zu beleuchten. Das Thema dieser Woche – Feminismus – erscheint mir zu wichtig, zu komplex und zu sensibel, um es in wenigen Sätzen abzuhaken. Daher habe ich mich für meinen Beitrag dazu entschieden, den Hauptinhalt auf meinen Blog auszulagern.

Zunächst sei erwähnt, dass es den einen Feminismus nicht gibt. Wie in jeder Bewegung gibt es gemäßigtes und polterndes Vorgehen sowie Strömungen, die sich mitunter sogar widersprechen. Ich empfand es schon immer als sehr schwer, mit Extremen umzugehen, unabhängig davon, wie „gut“ die Absicht ist. Der verbindende Kern setzt sich für die Gleichstellung aller Menschen, gegen Sexismus und gegen die Diskriminierung von Frauen ein.

Literarisch gibt es für mich zwei Lebensabschnitte. Der erste ging bis etwa Ende 2016, der zweite begann demzufolge dort. 2016 war der Zeitpunkt, als ich aufhörte, nur für mich zu schreiben und tiefer in die „Autorenszene“ eindrang – und auf Situationen und Ansichten stieß, die mich mehr als irritierten. Dazu gehörte für mich das Wikipedia-Debakel rund um die Berechtigung einer SF-Autorinnen-Liste (natürlich!), aber auch der Vorwurf diverser Autorinnen, dass Frauen das Stigma anhängt, keine SF schreiben zu können. (Zumindest, wenn man sie „ernst“ nehmen soll und das SF- Setting, inkl. der populären Dystopien, nicht für leichte Unterhaltung und „gefühlsduseliges Zeug“ dient).

SF war für mich, Jahrgang 1985, von jeher unisex. Geschichten waren nach objektiven Kriterien oder subjektivem Empfinden gut oder schlecht, aber das hatte für mich nie mit dem Geschlecht der Verfassenden zu tun. Natürlich war ich nicht so naiv, anzunehmen, dass die Literaturbranche im Allgemeinen oder die SF-Literaturbranche im Speziellen frei von Diskriminierung sei. Doch zumindest in diesem zukunftsorientierten Genre schien mir der Kampf um Gleichberechtigung weitestgehend bereits Teil einer Vergangenheit zu sein. Marion Zimmer Bradley, Becky Chambers, Nora K. Jemisin, Diane Duane, Dorothy Fontana, Jeri Taylor, Judith Reeves-Stevens, Susan Schwartz usw. sind nur ein paar der Damen, die mir vorzügliche Lesestunden beschert hatten und wohl auch meine Ansicht festigte, dass diese Künstlerinnen bereits den Weg für einen unbefangeneren Umgang mit ihren „Nachfolgerinnen“ geebnet hatten. Mir musste nie „bewiesen“ werden, dass Frauen ihren Platz in der SF haben – als Konsumentinnen, als Autorinnen und als handelnde Charaktere. Befinde ich mich mit dieser Ansicht etwa in einer Minderheit?

Ich denke nicht, habe aber eine Vermutung, warum es so scheint. Bei der Durchsicht meines Bücherschranks fiel mir auf, dass es viele großartige SF Romane gibt – doch Frauen spielen oft eine geringe Rolle. Es ist nicht so, dass sie zwingend schlecht geschrieben wären, doch sie sind selten in einer aktiven Rolle. Es scheint, als würden sich weibliche Charaktere nur aus ihrer Passivität begeben, wenn die Liebsten oder (weit häufiger) der Liebste in Gefahr sind. Es ist natürlich ein Kniff von Autoren, ihren Charakteren diese Zusatz-Motivation zu geben, doch es ist bemerkenswert, wie wenig für weibliche Charaktere aus der uralten Geschlechter-Rollenverteilung ausgebrochen wird. Männer sind „Macher“, Frauen sind die „Behüter“.

Dennoch gibt es auch Gegenbeispiele. Zwei Werke aus der jüngeren Vergangenheit sind „Der elektrische Engel“ (Sven Haupt) und „Predyl – Eine neue Welt“ (Sylvia Kaml). Beide Romane stellen einen weiblichen Charakter in den Fokus der Handlung. Luna und Susan Calvin sind grundverschieden, aber sie agieren erstaunlich klischeefrei und in der für mich vermissten, aktiven Rolle. Das alleine wäre nicht der Grund, diese Bücher zu lesen. Diese Geschichten begeistern durch starke Botschaften, durchdachte Handlungen und dem erzählerischen Talent der beiden Verfasser. Sylvia Kaml und Sven Haupt schreiben auf einem Niveau, das mich als Leser begeistert und als Autorenkollege respektvoll den imaginären Hut ziehen lässt.

Dass ich sowohl das Werk einer Autorin als auch eines Autoren als positive Beispiele für Feminismus in der SF heranziehe, geschah mit voller Absicht. Feminismus geht uns alle an. Es ist, salopp ausgedrückt, auch „Männersache“. Diese beiden Romane zeigen gut, welch positiv wirkende Macht Autoren haben. „Predyl“ und „Der elektrische Engel“ hätten auch mit männlichen Charakteren funktioniert. Ich kann nur mutmaßen, warum sich die beiden Verfasser für weibliche Charaktere entschieden haben. Vielleicht gewollt, vielleicht ungewollt haben sie für eine Wahrnehmung von weiblichen Charakteren in der SF jedenfalls beigetragen.  

Ich habe eingangs erwähnt, dass ich nie gut mit Extremen konnte. Die Ansicht diverser Autor*innen, es sei die Pflicht eines Autors, einen diversen Cast und zentrale Frauencharaktere unterzubringen, kann ich nicht mitgehen. Es sollte kein „müssen“ sein. Ich möchte es viel mehr als Chance sehen, positiv wirken zu können, wenn sich meine Besetzung für mich „richtig“ anfühlt. Zumindest sei erwähnt, dass mich die ganze Beschäftigung mit dem Thema dazu gebracht hat, in meinen Skripten zu hinterfragen, ob ich in der Vergangenheit meine diverse Raumschiff-KommandantEN gestaltet habe, weil ich es gewohnt war, oder weil die jeweiligen Geschichten es bedingten, Männer einzusetzen. Das Ergebnis: In meiner Geschichte „Erida“ aus der Anthologie „Fast menschlich“ könnt ihr die Kommandantin Cassandra Harrington kennenlernen.

Wenn wir gerade bei „Fast menschlich“ sind: Ich bin nicht nur Autor, sondern auch Herausgeber. Es ist mir bewusst, dass ich – wenn auch in mikroskopischem Rahmen – die Wahrnehmung von Autorinnen, Diversität und Frauencharakteren im SF-Segment mitgestalte. Das betrachte ich auch in dieser Tätigkeit als Chance, gleichwohl es mich in einen Zwiespalt bringt.

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, Geschichten von Frauen oder anderen Geschlechtern gezielt fördern zu wollen. Es gibt Verlage, Verleger und Verlegerinnen die explizit Autorinnen unterstützen, nach Geschichten mit (klischeefreien) zentralen Frauencharakteren suchen oder auch LGBTQ-Inhalte ausdrücklich willkommen heißen. Wohl um ein Gegengewicht zum Gros der Literatur zu schaffen. Um zu zeigen, dass es mehr gibt. Das ist verständlich, das hat seine Berechtigung, das ist auch bewundernswert – aber dieses selektive Vorgehen ist nicht mein Weg im Feminismus, wie ich ihn verstehe. Im Sinne einer Gleichberechtigung, einer Einräumung gleicher Chancen und einer Wertung unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sexueller Ausrichtung zählt für mich als Herausgeber schlicht … die Geschichte. Das ist es, was mich überzeugen muss. Natürlich wird meine Auswahl immer irgendwo subjektiv sein. Kein Mensch bewertet Kunst absolut objektiv.

Die Tatsache, dass in all meinen drei herausgegebenen SF-Anthologien ohne jede Beabsichtigung Autorinnen die Hälfte aller Beiträge stellen, unterstreicht eigentlich nur, was weder mich noch irgendjemanden sonst überraschen sollte: Es gibt viele gute Autorinnen – und natürlich können sie SF schreiben.

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